Folgende Aufgaben wurden hier bearbeitet:
I. Sozialgerichtsverfahren
1. Situation
Robert Klein (Robert K.), geb. 17.10.1981, wohnt bei seinen Eltern in Augsburg.
Seit 01.09.2002 arbeitet er bei der Stadt München als Angestellter. Aufgrund eines Fahrradunfalls ist er seit seinem 13. Lebensjahr gehbehindert. Im April 2009 beantragt Robert K. beim Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Augsburg seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch.
Dieser Antrag wird vom Zentrum Augsburg mit Bescheid vom 15.08.2009 abgelehnt. Laut Aktenvermerk der Behörde wurde der Bescheid am 17.08.2009 mit einfachem Brief zur Post gegeben.
Am 04.10.2009 ging das Widerspruchsschreiben von Robert K. beim Zentrum Augsburg ein.
Der später erteilte Widerspruchsbescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales ist nachweislich am 05.02.2010 bei einem Münchner Postamt abgeliefert worden. Aus der Rechtsbehelfsbelehrung geht hervor, dass Robert K. gegen diesen Bescheid innerhalb von vier Wochen nach Zustellung beim Sozialgericht Augsburg, Holbeinstr. 12, 8900 Augsburg, schriftlich Klage erheben kann.
Auf der Faschingsfeier seiner Behörde am. 20.02.2010 bespricht sich Robert K. mit seinem Kollegen Dieter Müller (Dieter M.), geb. 04.06.1978. Beide sind der Meinung, dass der Bescheid angefochten werden müsse und schließlich bietet Dieter M. seinem Kollegen an, für ihn Klage beim Sozialgericht zu erheben, da er schon länger im öffentlichen Dienst sei und mehr Erfahrung habe. Auf einen Notizblock schreiben sie folgende Vollmacht:
„Hiermit bevollmächtige ich, Robert Klein, Herrn Dieter Müller, geb. 04.06. 1978, wohnhaft in München, mich bei meiner Klage gegen das Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Augsburg vor dem Sozialgericht zu vertreten.“
München, den 20.02.2010
(Robert Klein)
Aufgrund der Auswirkungen der Faschingsfeier vergisst Dieter M. zunächst den Auftrag seines Kollegen. Am 05.03.2010 verfasst er die Klage, die er an das Landessozialgericht in München adressiert, weil er nur zwei Straßen weiter wohnt und den Brief selber einwirft. Als Anlage legt er die handschriftliche Vollmacht des Robert K. bei. Die Klageschrift geht dort am 09.03.2010 ein.
Am 12.03.2010 kommt Robert K., der an diesem Tag Urlaub hat, der Gedanke, sich beim Sozialgericht Augsburg in seiner Angelegenheit beraten zu lassen. Bei seiner Vorsprache in der dortigen Rechtsantragstelle rät man ihm, gegen den Widerspruchsbescheid Klage zu erheben. Er wird jedoch darauf hingewiesen, dass er möglicherweise die Klagefrist versäumt hat. Da er bisher nichts von seinem Kollegen gehört hat, lässt Robert K. den Urkundsbeamten eine entsprechende Klageschrift aufnehmen. Von der Bevollmächtigung des Dieter M. sagt er dem Beamten nichts.
Fragen
1. Konnte Robert K. seine Anerkennung als Schwerbehinderter selbst beantragen und das Verwaltungsverfahren betreiben? Konnte er selbst Klage erheben und kann er bei den Gerichten (Arbeits- und Sozialgericht) auftreten?
2. Ist die Bevollmächtigung seines Freundes Dieter Müller möglich und richtig erfolgt?
3. Ist der Widerspruchsbescheid wirksam zugestellt worden? Beurteilen Sie die dem Widerspruchsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung.
4. Ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben und welches Sozialgericht ist sachlich und örtlich zuständig? Wie ist von der Gerichtsbarkeit zu verfahren, wenn, wie hier, die Klage bei der falschen Stelle eingegangen ist? Macht es einen Unterschied, an wen bzw. welches Gericht die Klage gerichtet ist, oder ist es etwas anderes, wenn zwar das richtige Gericht benannt ist, der Posteinlauf aber beim falschen Gericht erfolgt?
5. War die Klageerhebung durch Dieter M. wirksam?
6. Ist die Klageerhebung rechtzeitig erfolgt?
7. Welchem im Gerichtsverfahren geltenden Grundsatz trägt der Vorsitzende mit der Anberaumung eines Erörterungstermins Rechnung? Kann er hierzu das persönliche Erscheinen anordnen? Welche Möglichkeiten hat er bei unentschuldigtem Ausbleiben?
8. Genügt es, wenn nur der Kläger und nicht der Bevollmächtigte Dieter M. zum Erörterungstermin geladen wurde?
9. Hätten die ehrenamtlichen Richter geladen werden müssen? Darf ohne Protokollführer verhandelt werden?
10. Wäre die Klagerücknahme durch Robert K. in der mündlichen Verhandlung wirksam?
11. Welche Auskunft hinsichtlich der Kosten wird die Urkundsbeamtin Robert K. geben? Welche Auskunft hinsichtlich weiteren Vorgehens?
II. Arbeitsgerichtverfahren:
2. Situation
Das Unglück für Robert K. nimmt seinen Lauf. Sein Arbeitgeber ist mit ihm höchst unzufrieden. Er kündigte ihn am 20.07.2010, ohne daran zu denken, dass Robert K. behindert ist. Nunmehr wendet sich Robert K. an einen befreundeten Gewerkschaftsvertreter und bespricht mit ihm, was zu tun ist. Dabei wird überlegt, ob die Rechtsposition von Robert besser wäre, wenn er einen GdB von 50 hätte, und wie man gegen seinen Arbeitgeber vorgehen könne. Robert K. ist zwar von den deutschen Gerichten jetzt etwas enttäuscht, will aber dennoch notfalls gerichtlich etwas unternehmen. Kann er dies vermeiden? Wenn doch, mit welchen Kosten hat er zu rechnen?
Fragen
1. Besteht ein Kündigungsschutz für Robert K.?
2. Gibt es ein Vorverfahren wie das Widerspruchsverfahren?
3. Spielt der Betriebsrat eine Rolle?
4. An welches Gericht muss sich Robert K. wenden?
5. Kann er sich dabei durch seinen Freund von der Gewerkschaft vertreten lassen?
6. Welche Kosten entstehen dabei?
7. Wie etwa müsste der Rechtsbehelf formuliert werden?
insges. 100 Pkt.